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60 Unternehmen schließen täglich: Industrie spricht von "freiem Fall"

Die deutsche Industrie schlägt Alarm: Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt vor einem «freien Fall» des Wirtschaftsstandorts und der historisch tiefsten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik. Zugleich prognostiziert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für die kommenden Jahre ein Wachstum von bis zu 1,5 Prozent. Der Kontrast zwischen dramatischer Industriewarnung und moderater Wachstumsprognose verschärft den Druck auf die Bundesregierung.

BDI-Präsident Peter Leibinger sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Der Wirtschaftsstandort befindet sich in seiner historisch tiefsten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik, doch die Bundesregierung reagiert nicht entschlossen genug.» Die Industrieproduktion soll 2024 um zwei Prozent schrumpfen – das vierte Jahr in Folge. Leibinger stellte klar: «Das ist keine konjunkturelle Delle, sondern ein struktureller Abstieg.»

Die OECD sieht Deutschland hingegen auf einem moderaten Erholungskurs. Die Organisation prognostiziert für 2025 ein Wachstum von einem Prozent, für 2026 ebenfalls ein Prozent und für 2027 sogar 1,5 Prozent. Nach zwei Jahren Schrumpfung und einem erwarteten Plus von nur 0,3 Prozent für 2024 wäre dies eine deutliche Trendwende.

Täglich bis zu 60 Unternehmen schließen

Die Lage in Schlüsselbranchen ist dramatisch. Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer, sagte in der ZDF-Sendung WISO: «Die Lage der Industrie ist extrem besorgniserregend. Wir verlieren jeden Tag bis zu 60 Unternehmen, weil sie zu machen, weil sie schließen, aufgrund der hohen Kosten in unterschiedlichen Bereichen.» Sie warnte: «Und damit verlieren wir auch jeden Tag Arbeitsplätze, die nicht mehr wiederkommen.»

Die Metall- und Elektroindustrie verlor seit 2018 bereits 250.000 Arbeitsplätze. Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, sagte in WISO: «Die Lage der deutschen Metall- und Elektroindustrie ist dramatisch. Wir sind in der längsten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik.» Bis Ende 2026 erwarten Experten weitere 150.000 Stellenverluste. Die Chemieindustrie arbeitet nur noch mit 70 Prozent Kapazitätsauslastung.

Forderungen nach wirtschaftspolitischer Wende

Leibinger forderte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: «Deutschland braucht jetzt eine wirtschaftspolitische Wende mit klaren Prioritäten für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum.» Investitionen in Infrastruktur müssten Vorrang vor Konsumausgaben haben. Die Bundesregierung müsse Bürokratie konsequent abbauen – bisherige Schritte hätten keine ausreichende Entlastung gebracht.

Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft sagte in WISO: «Wir brauchen vor Allem andere Maßnahmen.» Er analysierte: «Das deutsche Geschäftsmodell ist von allen Seiten unter Druck.» Hüther konkretisierte: «Das hat mit Standortkosten zu tun, das ist natürlich eine hohe Steuerlast, an der wir seit langem nichts verändert haben. Wir haben Arbeitskosten, die auch in der Wettbewerbsfähigkeit eine schwere Last sind, zumal ja auch bei den Lohnnebenkosten und in der Sozialversicherung der Druck zunimmt.»

Bertram Kawlath, Präsident des Maschinenbauverbands VDMA, fragte gegenüber dem Deutschlandfunk: «Wir fragen uns, wann kriegen die vom Wähler mit einem Regierungsmandat ausgestatteten Parteien notwendige Reformen und eine Strategie für dieses Land auf den Weg?» Er zeigte sich entsetzt über das Agieren der schwarz-roten Koalition.

OECD empfiehlt Strukturreformen

Die OECD sieht die angekündigten staatlichen Ausgaben für Infrastruktur und Verteidigung als Wachstumstreiber. OECD-Expertin Isabell Koske sagte dem Spiegel: «Die stark steigenden öffentlichen Investitionen und Verteidigungsausgaben spielen natürlich eine große Rolle.» Sie mahnte allerdings: Die Regierung sollte darauf achten, dass die zusätzlichen Ausgaben vor allem in öffentliche Investitionen fließen, welche das Potenzialwachstum steigern – und nicht in zusätzlichen Staatskonsum.

OECD-Experte Robert Grundke forderte gegenüber dem Spiegel: Die Kommunen müssen ihre Infrastrukturplanungskapazitäten ausbauen sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter vereinfachen und harmonisieren. Er warnte: «Denn sonst besteht das Risiko, dass die enorme Nachfrage durch die Investitionspakete die Inflation in die Höhe treibt.»

OECD-Generalsekretär Mathias Cormann appellierte in einer Stellungnahme: «Angesichts der Schwächen der Weltwirtschaft müssen die Länder ihre Bemühungen um einen konstruktiven Dialog verstärken, der eine dauerhafte Lösung der Handelsspannungen und eine Verringerung der politischen Unsicherheit gewährleistet.» Er betonte: «Haushaltsdisziplin ist wichtig, um den zunehmenden Risiken zu begegnen, die sich aus der hohen Staatsverschuldung und dem höheren Ausgabenbedarf aufgrund von Verteidigungsanforderungen und der alternden Bevölkerung ergeben.»




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