Wahlumfragen sind in Deutschland erst in der jungen Bundesrepublik in Mode gekommen. Zunächst ließen Parteien die Vorlieben der Wählerinnen und Wähler ergründen, dann auch Medien. Auf Bundesebene haben Wahlumfragen zugenommen, in Bundesländern sind sie seltener.
Was kann eine Wahlumfrage – und was nicht?
Eine Wahlumfrage ist keine Vorhersage über den Ausgang einer Wahl, die manchmal erst in einigen Wochen oder Monaten stattfindet. Vielmehr gibt sie für den jeweiligen Moment ein Stimmungsbild wieder. Daher kennt man auch die Frage: «Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?»
Für Wahlumfragen werden in der Regel 1000 bis 2000 Menschen befragt. Heute geschieht das selten persönlich, sondern meist am Telefon und online. Doch wie aussagekräftig ist solch eine kleine Stichprobe für die Millionen von Menschen, die wählen dürfen?
Illustration: Ein Mann telefoniert vor einer fiktiven Wahlumfragegrafik. Foto: Lino Mirgeler/dpa
Es gibt einige Unwägbarkeiten, die selbst bei gut gemachten Umfragen bedacht werden müssen. Zum Beispiel beteiligen sich oft weniger Seniorinnen und Senioren an Online-Befragungen, sind selbst aber eine große Wählergruppe. Oder es gibt Befragte, die womöglich unwahre Antworten geben. Zum Beispiel, weil sie wissen, dass ihre Traumpartei umstritten ist.
Ist es heute schwieriger, Wahltrends zu erkennen?
Ja. Denn die Bindung an traditionelle Parteien wird schwächer und insgesamt gibt es auch mehr Parteien als früher. Das heißt: Menschen machen über Jahre ihr Kreuz nicht immer wieder an derselben Stelle, sondern geben ihre Stimme gelegentlich auch anderen, teils neuen Gruppierungen. Die Zahl dieser sogenannten Wechselwähler wächst.
Außerdem entscheiden sich mehr Wählerinnen und Wähler als früher sehr spontan. «Viele Menschen sind bis kurz vor dem Wahltag unentschlossen und sagen "weiß ich noch nicht"», berichtet Thorsten Faas, politischer Soziologe an der Freien Universität Berlin.
Zugleich ist es für Meinungsforschungsinstitute schwieriger geworden, Menschen zu finden, die ihre Fragen beantworten möchten. Denn es gibt mehr Institute und auch mehr Umfragen als früher.
Schwankungen im Umfrageergebnis beachten
Wichtig ist es auch, die Ergebnisse von Wahlumfragen richtig zu interpretieren. Denn sie können in der Regel bis zu drei Prozentpunkte nach oben und nach unten abweichen.
Es gab Wahlen, vor denen Umfragen weit vom Wahlergebnis abwichen. Ein Fall aus Deutschland war die Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt. Vorhergesagt war ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD. Bei der Wahl siegte dann die CDU klar mit mehr als 16 Prozentpunkten Vorsprung. In der Regel aber gelten Wahlumfragen erfahrener Meinungsforschungsinstitute in Deutschland als ziemlich treffsicher.
Können Umfragen Wahlergebnisse beeinflussen?
Es kommt auf die Situation an. Zum Beispiel, wenn Umfragen Menschen dazu veranlassen, taktisch zu wählen. Sie setzen ihr Kreuz dann mitunter nicht bei ihrer bevorzugten Partei, sondern wählen eine andere. Damit wollen sie zum Beispiel bestimmte Regierungsbündnisse nach der Wahl ermöglichen – oder auch verhindern. Je näher der Wahltermin rückt, desto eher nehmen Menschen Umfragen wahr.
Doch lassen sich Wahlen durch Umfragen beeinflussen? In der Forschung gibt es Vermutungen: Danach geben manche Unentschlossene eher einer Partei ihre Stimme, die in Umfragen vorn liegt. Denn dann können sie nach der Wahl auch auf der Seite der Sieger stehen. Oder sie stimmen aus Trotz oder Mitleid für eine Partei, die in Umfragen zurückliegt.
Die Fünf-Prozent-Hürde als Anreiz
Sagen Umfragen knappe Ergebnisse voraus, scheint das Wählerinnen und Wähler anzustacheln. «Wahlumfragen können sehr einflussreich sein», sagt Politologe Faas. Denn Menschen könnten dadurch dazu bewegt werden, ihr Wahlverhalten anzupassen. Dabei kann es auch darum gehen, einer Partei über die Fünf-Prozent-Hürde zu helfen.
Ein Beispiel: 2013 flog die FDP aus dem Bundestag. Nach Studien hatte das auch damit tun, dass Umfragen die FDP vor der Wahl bei fünf oder sechs Prozent gelistet hatten. «Hätten Umfragen die FDP damals bei vier Prozent gesehen, hätte man sich da etwas anderes vorstellen können», sagt Faas.
Manchmal können Wahlumfragen aber auch zu Überdruss führen. Zum Beispiel, wenn es allein um kurzsichtige und kurzfristige taktische Manöver von Parteien gehe, ergänzt der Forscher. «Es erweckt dann den Eindruck, dass Politik gemacht wird, um die eigenen Umfrageergebnisse zu beeinflussen.» Das sei etwas, das Wähler nerven könne. Quelle: dpa
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