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Experten entlarven 'woke' als rechten Kampfbegriff nach Käse-Shitstorm

Der Bremer Käsehersteller DMK Group steht wegen einer Sonderedition seiner Milram-Verpackung unter heftigem Beschuss. Statt der gewohnten Kuh-und-Weide-Optik zeigen Comics dreier Kunstschaffender Menschen verschiedener Hautfarben. Das Unternehmen spricht von einer «Die Debatte ist in ihrer Absurdität kaum zu überbieten.»

Von rechts kam umgehend der Vorwurf: Die Bildchen seien «woke» und zeigten nicht die gewünschte Gesellschaft. Nicht fehlerhafte Produkte führten zu Bedrohungen gegen das Unternehmen, sondern allein das Design einer limitierten Auflage, die in wenigen Wochen wieder verschwinden soll.


Klassischer Shitstorm um Kampfbegriff

«Es war das, was man klassischerweise als Shitstorm bezeichnet», analysiert Josef Holnburger, Geschäftsführer des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas). Das Wort «woke» sei inzwischen «schon zu einer Art Kampfbegriff geworden».

Der Begriff lässt sich bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen - damals noch mit positiver Bedeutung. In der Kultur schwarzer US-Amerikaner und der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre bedeutete «woke sein»: wachsam sein gegenüber Rassismus. Mit der «Black Lives Matter»-Bewegung wurde er ab 2010 erneut relevant.

Verallgemeinerung durch Rechte

Anfang der 2020er Jahre verallgemeinerten Rechte in den USA und anderen Ländern den Begriff stark. «Woke wurde quasi zu einem allgemeinen Code für alles, von dem diese Rechten meinen, das falsch läuft in der Gesellschaft», erklärt der Politikwissenschaftler Floris Biskamp von der Universität Tübingen.

«Fast alle, die den Begriff verwenden, sind sich darüber einig, dass er etwas Schlechtes beschreibt», so Biskamp. Das Label finde Anwendung «bei gemäßigter linker oder linksliberaler Politik im Mainstream genauso wie bei irgendwelchen randständigen Verrücktheiten».

Bekannte Beispiele der Vergangenheit

Der Vorwurf von zu viel Diversität ist nicht neu. Als die Deutsche Bahn 2019 Reisende mit Migrationshintergrund abbildete, sorgte der damalige Grüne Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) aus Tübingen mit der Frage «Welche Gesellschaft soll das abbilden?» für Kopfschütteln.

Ein ähnlicher Aufreger entstand vergangenes Jahr mit dem pink-lilafarbenen Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Einigen missfiel die Farbwahl für den männlich geprägten Sport, das Design verwische die Geschlechtergrenzen und sei «woke». Doch für Ausrüster Adidas wurde das Trikot zum Verkaufsschlager.

Rechte Strategie und Plattform-Verstärkung

Solche Debatten entspinnen sich meist von ganz rechtsaußen. Protagonisten, die den Milram-Packungen «anti-weiße Propaganda» vorwarfen, leben davon, Aufmerksamkeit zu erhalten. «Das ist ihr politisches und ökonomisches Lebenselixier», sagt Biskamp.

Milram verortet den Shitstorm «fast ausschließlich auf der Plattform X». Dieser werde «durch Fake-Accounts und Bots verstärkt und klar aus dem rechten Spektrum gespeist - inklusive AfD-Unterstützung». Holnburger spricht von einer rechten Szene auf X, «die das Thema ganz stark bespielt hat».

Ziel: Unsichtbarmachung von Vielfalt

Die extrem Rechten wollten alles unsichtbar machen, «was irgendwie nicht dem entspricht, was sie als Normalbild definieren». «Es geht darum, neben Heterosexualität und Weißsein alle anderen gesellschaftlichen Erscheinungsformen zurückzudrängen», so Holnburger - also queere oder nicht weiße Menschen.

Unternehmen sollten solche Shitstorms aushalten, «weil hier eine besonders aktive und laute Gruppe im Netz Stimmung gegen Minderheiten macht», rät Holnburger. Firmen sollten weiterhin die Gesellschaft in ihrer Vielfalt abbilden.

Erfolg trotz digitalem Aufruhr

«Was in bestimmten Kreisen als "woke" diffamiert wird, ist schlicht ein Spiegel unserer Gesellschaft», lautet das Statement des Milram-Herstellers. Entscheidend sei das Verhalten demokratischer Parteien - ob sie die Empörung von rechtsaußen übernehmen oder keine Meinung zu Käse äußern.

Zwei Wochen nach Einführung der Sonderauflage sieht Milram eine stabile Nachfrage. «Erste Rückmeldungen aus dem Handel bestätigen: Die Edition läuft unbeeindruckt vom digitalen Lärm.» Quelle: dpa




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