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Wird in Geschäften mit SB-Kassen mehr geklaut?

Experten sehen ein steigendes Diebstahlrisiko für den Einzelhandel durch den Einsatz von Selbstbedienungskassen. «In entsprechenden Geschäften wird mehr geklaut. Die Verluste der Händler durch SB-Kassen können bei ein bis zwei Prozent des Umsatzes liegen. Das ist sehr viel und deutlich mehr als bei klassischen Kassen», sagt der Professor für Lebensmittelhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn, Stephan Rüschen. Er bezieht sich auf Gespräche mit Händlern und anderen Branchenvertretern.

Eine Frau scannt ein Produkt an einer Selbstbedienungskasse. Symbolfoto: Oliver Berg/dpa
Eine Frau scannt ein Produkt an einer Selbstbedienungskasse. Symbolfoto: Oliver Berg/dpa

Kassen zum selber scannen boomen, sie sind inzwischen weit verbreitet: in Supermärkten, Drogerien und Baumärkten. Ende 2023 gab es dem Handelsforschungsinstitut EHI zufolge bereits 4270 Geschäfte mit insgesamt 16.000 Selbstbedienungskassen und damit mehr als doppelt so viele wie zwei Jahren zuvor. Inzwischen dürften es noch mehr sein.

Wird mehr geklaut in Geschäften mit den Kassen ohne Personal?

Valide Daten wurden bisher nicht veröffentlicht. Das Handelsforschungsinstitut EHI hat die Entwicklung der Ladendiebstähle untersucht. 2023 wurde ein deutlicher Anstieg verzeichnet. Inwieweit das auf SB-Kassen zurückgeht, ist unklar. Es sei schwierig zu messen und nachzuweisen, dass an den Kassen mehr geklaut wird, sagt EHI-Experte und Studienautor Frank Horst.

Eine Umfrage unter 40 Händlern zeigt: Knapp 28 Prozent der Unternehmen geben an, dass die Inventurdifferenzen bei Self-Checkout-Systemen wie SB-Kassen höher sind, die Bestandsverluste liegen zwischen 5 und 39 Prozent. 20 Prozent stellen keine Unterschiede fest, die Hälfte hat nach eigenen Angaben keine Erkenntnisse darüber.

«Die Akzeptanz der Kunden ist hoch»

Der Handel sieht keinen Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Ladendiebstähle und der wachsenden Zahl an Kassen, an denen Kunden die Produkte selbst scannen. «Wir beobachten keine spürbare Zunahme in Märkten mit SB-Kassen», sagt ein Sprecher von Edeka. Zahlen dazu gebe es nicht. Auch der Handelsverband Deutschland, Ikea, Rewe und Obi können keinen nennenswerten Anstieg der Diebstahlzahlen erkennen. Die Discounter Aldi Süd und Lidl sowie die Drogerieketten DM und Rossmann wollten sich nicht äußern.

Viele Handelsketten möchten den Service ausbauen. Rewe will bis Ende des Jahres die Zahl der Supermärkte, die mit SB-Kassen ausgestattet sind, auf 1.800 erhöhen. Die Handelskette Edeka möchte die Zahl ebenfalls ausweiten. «Die Akzeptanz der Kunden ist hoch. Beschwerden sind uns nicht bekannt», heißt es. Zudem hätten Kunden weiterhin die Möglichkeit, klassische Kassen zu nutzen.

«Kontaktloses Zahlen wird immer attraktiver und die Nachfrage nach Selbstbedienungskassen steigt», sagt eine Sprecherin von Ikea. Der Möbelhändler geht bald womöglich noch einen Schritt weiter. Im Einrichtungshaus in Düsseldorf gibt es seit Mai testweise nur noch SB-Kassen. Das Konzept soll möglicherweise bundesweit auf andere Filialen übertragen werden. Laut Rüschen wäre Ikea der erste große Händler in Deutschland, der das so handhabt. In Frankreich, Österreich und Portugal setzt Ikea vielerorts längst nur noch auf Selbstscanner-Kassen.

Kritik in Großbritannien

In Großbritannien hingegen nahm die Kritik an den «self-checkouts», wie die SB-Kassen genannt werden, hingegen zuletzt zu. Von einer «selbst verschuldeten Katastrophe»schrieb jüngst die konservative Zeitung «Telegraph». Viele Kunden würden lieber mit echten Menschen sprechen beim Einkaufen. Ähnliches hatte zu Jahresbeginn auch die BBC berichtet. Der Frust der Kunden sei hoch, zu oft funktioniere die Technologie nicht, und es bildeten sich doch wieder Schlangen, hieß es. Einige Ketten wie die Drogerie Boots hätten die Zahl ihrer SB-Kassen bereits wieder reduziert.

Dass die «self-checkouts» es Ladendieben einfacher mache, wie der «Telegraph» schreibt, will der britische Handelsverband BRC aber nicht bestätigen. Dass der Schaden für britische Einzelhändler zuletzt auf fast 1,8 Milliarden Pfund (2,1 Mrd. Euro) geschnellt sei, liege vor allem daran, dass die Polizei nicht ausreichend auf Diebstähle reagiere und Täter das Gefühl eines Freifahrtscheins bekämen, sagt BRC-Experte Graham Wynn der dpa.

Die USA gelten als größter Markt für SB-Kassen, nach Schätzungen von Branchenbeobachtern stieg die Zahl 2023 weiter. So machen diese laut der Bank CapitalOne 40 Prozent der Kassen in Lebensmittelgeschäften aus. Zuletzt legten einige Supermarkt-Ketten wie Walmart in Läden mit hohen Diebstahlraten jedoch Kassen still oder stellen an jede Einzelne einen Aufpasser. Target reduzierte die Zahl der Artikel, für die die Selbstbedienungskassen gedacht sind, auf zehn. Der CapitalOne-Studie zufolge gaben 15 Prozent der Amerikaner zu, an SB-Kassen schon gestohlen zu haben.

12 Prozent nutzen SB-Kassen nie

Laut einer Yougov-Umfrage nutzen Verbraucher in Deutschland SB-Kassen bevorzugt, wenn sie nur wenig Produkte kaufen oder wenig Zeit haben. 10 Prozent geben an, sie ausschließlich zu nutzen, Menschen zwischen 18 und 24 Jahren häufiger als Verbraucher ab 55 Jahren. 12 Prozent der Befragten würden nach eigenen Angaben nie Kassen ohne Kassiererinnen oder Kassierer nutzen. Die Gründe gehen aus der Umfrage nicht hervor.

SB-Kassen bieten dem Handel einen weiteren Vorteil, sie helfen die Fachkräftelücke zu stopfen. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen in keinem anderen Beruf in Deutschland bis 2027 so viele Fachkräfte wie im Verkauf. Es gehe darum, Mitarbeitenden «mehr Zeit für das Wesentliche zu geben: Kontakt zu Kunden und Regalpflege», sagte Rewe-Chef Lionel Souque zuletzt.

Auch für Handelsexperte Rüschen führt trotz höheren Diebstahlrisikos für Händler kein Weg daran vorbei, stärker auf SB-Kassen zu setzen – nicht nur wegen der Personalengpässe. «Die Kunden schätzen und erwarten den Service inzwischen, weil sie nicht in langen Warteschlangen stehen wollen», sagt Rüschen. Die Diebstahlprävention müsse jedoch weiter ausgebaut werden. Zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen nutze der Handel bereits, etwa Aufsichtspersonal im Kassenbereich und Ausgangsschranken, die erst nach dem Scannen des Bons öffnen. Per Video sei es zudem möglich, zu erkennen, wenn Produkte nicht erfasst oder beim Wiegen oder der Auswahl von Obstsorten falsche Angaben gemacht würden.

Aus der polizeilichen Kriminalstatistik geht hervor, dass in Geschäften in Deutschland zuletzt mehr geklaut worden ist. Die Hauptursachen dafür sieht Rüschen in den steigenden Preisen und der sinkenden Kaufkraft – nicht in der rasanten Verbreitung von SB-Kassen. Quelle: dpa






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