Direkt zum Hauptbereich

Anti-Engpass-Gesetz beschlossen – endlich genug Fiebersaft für alle?

Wichtige Medikamente besonders für Kinder sollen verlässlicher gegen Lieferengpässe abgesichert werden. Der Bundestag beschloss dazu am Freitag ein Gesetz von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), das als Sicherheitspuffer Vorräte von mehreren Monatsmengen für vielgenutzte Arzneimittel zur Pflicht macht. Zudem sollen Preisregeln gelockert werden, um Lieferungen nach Deutschland für Hersteller lohnender zu machen. Kommen soll daneben auch eine dauerhafte Möglichkeit zu telefonischen Krankschreibungen ohne extra Praxisbesuch - ähnlich wie vorübergehend schon in der Corona-Krise.

Lauterbach: «Unhaltbare Situation» bei einigen Medikamenten

Lauterbach sagte, bei mehreren Arzneimitteln sei es mittlerweile eine «unhaltbare Situation». Übertriebene Ökonomisierung habe die Versorgung mit patentfreien Medikamenten über Jahre verschlechtert. «Wir korrigieren das und ändern die Rahmenbedingungen so, dass Deutschland als Absatzmarkt für Arzneimittel wieder attraktiver wird.» Der Minister rechtfertigte Mehrausgabenbei den Krankenkassen besonders für Kinder. «Wenn wir hier sparen, ist das nicht ethisch.»

Union: Gesetz ist ein «Scheinmedikament»

Redner der Opposition lehnten das Gesetz ab. Für die Union sprach Georg Kippels (CDU) von einem Scheinmedikament, das Ursachen nicht löse. Jörg Schneider (AfD) forderte eine komplette Abschaffung von Rabattverträgen für Arzneien. Ates Gürpinar (Linke) monierte: «Sie glauben, einfach mehr Geld bei der Pharmaindustrie löst das Problem.»

Vor Weihnachten eskalierten die Engpässe

In Gang gekommen waren die Pläne nach einer Infektwelle im Advent, als Engpässe bei Kindermedikamenten wie Fieber- und Hustensäften eskalierten. Probleme gab es auch bei Krebsmitteln und Antibiotika. Aktuell sind gut 490 Meldungen zu Engpässen amtlich erfasst.

Grundlegende Absicherungen soll nun das Gesetz mit dem Kürzel «ALBVVG» bringen, also das «Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz», das auch noch abschließend in den Bundesrat geht.

Ein Überblick über Kernpunkte:

Sicherheitspuffer

Für alle Medikamente mit Rabattverträgen der Krankenkassen sollen Hersteller bei sich einen Vorrat anlegen müssen - und zwar einen so großen, wie es einer durchschnittlichen Liefermenge für sechs Monate entspricht. Zunächst war ein Drei-Monats-Puffer geplant. Der Verband der Hersteller patentfreier Medikamente, Pro Generika, warnte, dass Produktionskapazitäten dafür fehlten. Zudem verursache die Lagerhaltung noch mehr Kosten. Und das verschärfe den Kostendruck als eine Ursache für Ausstiege aus der Produktion.

Mittel für Kinder

Für Kindermedikamente soll es keine Rabattverträge mehr geben, mit denen Preise für die Kassen als Großabnehmer gedrückt werden. Hersteller sollen ihre Abgabepreise auch einmalig um bis zu 50 Prozent des zuletzt geltenden «Festbetrags» anheben dürfen - also des maximalen Betrags, den die gesetzlichen Kassen bisher für ein Präparat zahlen. Neue Festbeträge soll es dann für Kindermedikamente nicht mehr geben. Außerdem soll generell eine Liefermenge für vier Wochen beim Großhandel als Vorrat auf Lager gehalten werden müssen.

Apotheken und Kassen

Apotheken soll bei nicht verfügbaren Präparaten ein Ausweichen auf wirkstoffgleiche Mittel erleichtert werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel soll mehr Informationen aus dem Markt bekommen und ein Frühwarnsystem einrichten. Bei Ausschreibungen zu Kassenverträgen sollen europäische Produzenten stärker zum Zug kommen, zunächst bei Antibiotika-Wirkstoffen. Insgesamt rechnen die Kassen jährlich mit Mehrkosten «mindestens im hohen dreistelligen Millionenbereich», wie der Spitzenverband schon warnte. Dem stehe «die bloße Erwartungshaltung» auf Liefersicherheit gegenüber.

Apotheken und Kassen

Nach dem Aus einer Corona-Sonderregelung im April sollen Krankschreibungen per Telefon auch ohne Praxisbesuch dauerhaft möglich werden - vorausgesetzt, es geht um Erkrankungen ohne schwere Symptome und man ist bei dem Arzt oder der Ärztin schon aus früheren Behandlungen bekannt. Das soll Praxen und Patienten, besonders Eltern mit Kindern, entlasten. Die genaue Regelung dazu soll der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kassen und Kliniken erarbeiten.

Suchtpolitik

Angebote zu Untersuchungen der Inhaltsstoffe von Drogen («Drug-Checking») sollen bundesweit möglich werden. Dafür soll das Verbot von «Substanzanalysen» durch Personal in Drogenkonsumräumen im Betäubungsmittelgesetz wegfallen. Die Länder sollen Modellvorhaben erlauben können, «wenn mit der Analyse eine Risikobewertung und gesundheitliche Aufklärung verbunden ist». Dies werde die Zahl der Drogentoten reduzieren, sagte Lauterbach. Grünen-Fachpolitikerin Linda Heitmann sagte, so erreiche man gerade auch Konsumierende in der Club-und Festivalkultur und könne Gesundheitsrisiken mindern.

Rettungskräfte

Für Notfallsanitäter soll es rechtlich abgesichert werden, dass sie zum Beispiel bei schweren Unfällen schmerzlindernde Betäubungsmittel geben dürfen, auch wenn gerade kein Arzt da ist.

Arznei-Werbung

In Werbespots und Anzeigen für Medikamente soll der bekannte vorgeschriebene Warntext geändert werden und künftig lauten: «Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder in Ihrer Apotheke». Damit solle «gleichstellungspolitischen Aspekten Rechnung getragen werden», heißt es im Entwurf. Ersetzt werden soll das seit drei Jahrzehnten lautende Satzende «... und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker». Quelle:Upday

Beratungsgespräch in einer Apotheke. Foto: Benjamin Nolte/dpa-tmn

Beratungsgespräch in einer Apotheke. Foto: Benjamin Nolte/dpa-tmn


JZ-App
Vorlesen lassen

Kommentare

Beliebte Beiträge

Eklat im Frauenfußball: Clubs gründen eigenen Verband ohne DFB

Die 14 Vereine der Frauen-Bundesliga haben sich öffentlich vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) losgesagt. Sie wollen am 10. Dezember einen eigenen Liga-Verband gründen – ohne Beteiligung des DFB. Die Entscheidung fiel nur einen Tag nach der Vergabe der Frauen-EM 2029 an Deutschland und markiert einen potenziell folgenschweren Bruch im deutschen Frauenfußball. Ursprünglich planten die Clubs eine gemeinsame Gründung mit dem DFB. Doch die Clubs werfen dem Verband vor, bereits vereinbarte Punkte nachträglich in Frage gestellt zu haben. Die Gründungsveranstaltung findet nun in der Frankfurter WM-Arena statt – 1,5 Kilometer vom ursprünglich vorgesehenen DFB-Campus entfernt. Clubs kritisieren DFB scharf Jan-Christian Dreesen (FC Bayern) zeigte sich überrascht: «In den Gesprächen mit dem DFB waren die wesentlichen Punkte zur Gründung einer gemeinsamen FBL GmbH bereits vereinbart, umso überraschender war für uns Klubs das Infragestellen der verhandelten Eckpunkte zum jetzigen Zeitpunkt – obwohl di...

Support-Ende: Nvidia schickt etliche GTX-Grafikkarten in Rente

Der neue Beta-Treiber 590.44.01 besiegelt das Support-Ende für die beliebten Grafikkarten der GTX-900- und 1000-Serie unter Linux. Nutzer müssen sich umorientieren, denn auch das Windows-Aus für Maxwell und Pascal dürfte nun nicht mehr fern sein. Der Anfang vom Ende Nvidia hatte mit seinen Treibern zuletzt vor allem durch mehrere Hotfixes für Schlagzeilen gesorgt. Während einige davon zu Beginn des Jahres  kritische Bugs und Ruckler  sowie  Abstürze  behoben, sorgte der letzte Notfall-Grafik-Treiber bei einigen Nutzern für einen  FPS-Boost von fast 50 Prozent . Jetzt ist ein weiterer Beta-Treiber erschienen und beendet eine Ära. Mit der Veröffentlichung der neuesten Beta-Version 590.44.01 des proprietären Grafiktreibers für Linux-Systeme werden zwei legendäre GPU-Generationen aufs Abstellgleis geschoben. Betroffen sind die Modelle der  GeForce-GTX-900-  sowie der extrem weitverbreiteten GTX-1000-Serie. Damit endet die offizielle Unterstützung für die H...

60 Unternehmen schließen täglich: Industrie spricht von "freiem Fall"

Die deutsche Industrie schlägt Alarm: Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt vor einem «freien Fall» des Wirtschaftsstandorts und der historisch tiefsten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik. Zugleich prognostiziert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für die kommenden Jahre ein Wachstum von bis zu 1,5 Prozent. Der Kontrast zwischen dramatischer Industriewarnung und moderater Wachstumsprognose verschärft den Druck auf die Bundesregierung. BDI-Präsident Peter Leibinger sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Der Wirtschaftsstandort befindet sich in seiner historisch tiefsten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik, doch die Bundesregierung reagiert nicht entschlossen genug.» Die Industrieproduktion soll 2024 um zwei Prozent schrumpfen – das vierte Jahr in Folge. Leibinger stellte klar: «Das ist keine konjunkturelle Delle, sondern ein struktureller Abstieg.» Die OECD sieht Deutschland hingegen auf einem moderaten Erholungskurs. Die Organisati...

300.000 Kita-Plätze fehlen in Deutschland – Westen besonders betroffen

In Deutschland fehlen rund 300.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Das zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Betroffen sind 14,2 Prozent der Kinder in dieser Altersgruppe, für die Eltern eine Betreuung wünschen. Die Situation ist laut der Studie besonders «angespannt» in Westdeutschland, während der Osten vor einer anderen Herausforderung steht. Die regionale Kluft ist erheblich: In Westdeutschland fehlt für 15,6 Prozent der betreuungsbedürftigen Kinder unter drei Jahren ein Platz. In Ostdeutschland liegt die Lücke bei 7,3 Prozent. Eltern wünschen sich Betreuungsplätze für insgesamt 1,1 Millionen Kinder in dieser Altersgruppe. Tatsächlich betreut werden derzeit etwa 800.000 Kinder – ein Rückgang um 56.000 seit dem Höchststand von 857.000 im Jahr 2023. Große Unterschiede zwischen Bundesländern Am größten ist der Mangel in Nordrhein-Westfalen: Dort fehlen 85.000 Plätze, was 18 Prozent der Kinder mit B...

Windows 11: 500 Millionen PCs wird ein Upgrade vorenthalten

Wie Dell jetzt bestätigt hat, wird 500 Millionen PCs ein Upgrade von Windows 10 auf Windows 11 vorenthalten, obwohl diese Systeme mit Microsofts neuestem Betriebssystem kompatibel sind. Viele der Anwender verweigern den Umstieg aktiv. Wie Dell in Person von Jeffrey Clarke, seines Zeichens COO ("Chief Operating Officer") des Unternehmens, während der Telefonkonferenz zu den aktuellen Geschäftszahlen bestätigt hat, wird 500 Millionen PCs ein Upgrade von Windows 10 auf Windows 11 vorenthalten, obwohl diese Systeme mit Microsofts neuestem Betriebssystem kompatibel sind. Viele dieser Anwender verweigern den Umstieg aktiv. Insgesamt sind demnach derzeit rund 1,5 Milliarden PCs und Notebooks mit Windows unterwegs, von denen 500 Millionen "zu alt für ein Upgrade auf Windows 11" seien, während weitere 500 Millionen Systeme zwar kompatibel seien, aber von der Anwenderschaft aktiv an einem Upgrade möglichen gehindert werden. Der Leiter des operativen Geschäfts bei Dell sieht d...