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Klimaschutz gegen Geld? Deutschland prüft CO₂-Deals mit dem Ausland

Auf Seite 28 des schwarz-roten Koalitionsvertrags verbirgt sich so etwas wie eine kleine Revolution. Die deutschen und europäischen Klimaziele sollen «in begrenztem Umfang durch hochqualifizierte und glaubwürdige CO2-Minderungen in außereuropäischen Partnerländern» erreicht werden. Eine Idee, die nicht nur CDU, CSU und SPD verfolgen – auch in Brüssel wird daran gearbeitet.

Wie funktioniert der Klimaschutz in Europa bisher?

Die EU muss ihre Klimaziele durch Treibhausgas-Minderungen auf eigenem Boden erreichen. Bis 2030 sollen die Emissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. Bis 2050 will die EU klimaneutral sein, also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen als wieder gebunden werden können. 

Ein kleiner Wagen fährt über eine Fläche in Brasilien, wo früher die Laguna Lagoa da Francesa war. Aufgrund der Dürre ist die Lagune verschwunden. Foto: Aguilar Abecassis/dpa

Ein kleiner Wagen fährt über eine Fläche in Brasilien, wo früher die Laguna Lagoa da Francesa war. Aufgrund der Dürre ist die Lagune verschwunden. Foto: Aguilar Abecassis/dpa

Ein verbindliches Zwischenziel für 2040 gibt es noch nicht. Die EU-Kommission schlägt vor, eine Minderung um mindestens 90 Prozent im Vergleich zu 1990 festzulegen. Der Vorschlag dazu wird bis zur Sommerpause erwartet und muss dann von den EU-Ländern und dem Europaparlament verhandelt werden.

Was soll sich dabei ändern?

Das 2040-Ziel finden einige im Parlament und unter den EU-Staaten zu ehrgeizig. Aus EU-Kreisen heißt es nun, man wolle an der 90-Prozent-Vorgabe festhalten – gleichzeitig aber mehr Flexibilität schaffen, um sie zu erreichen. Dazu zählt etwa die Anerkennung von Klimazertifikaten aus Nicht-EU-Ländern. Mit diesen könnten dann Treibhausgasemissionen, die in der EU entstehen, verrechnet werden. CDU, CSU und SPD nennen dies im Koalitionsvertrag als eine Voraussetzung für die deutsche Unterstützung für das 90-Prozent-Ziel: Zertifikate sollen demnach maximal 3 Prozentpunkte des Ziels ausmachen. 

Auch wenn damit nur ein Bruchteil der Klimaschutzanstrengungen beglichen werden würde, sorgen die Pläne für Aufregung. Denn Kritiker befürchten, dass dieser Anteil künftig steigen könnte – und dass die EU solche Instrumente in größerem Umfang zulässt. 

Unternehmen, denen es besonders auf Klimaschutz ankommt oder die damit werben wollen, können heute schon Zertifikate kaufen – zum Beispiel für Aufforstungsprojekte, saubere Kochöfen, bessere Trinkwasserversorgung oder Solarparks. Das hat aber bislang nichts zu tun mit den staatlichen Klimazielen. 

Gab es so etwas schon einmal?

Die Idee ist nicht neu – es gibt sogar schon Erfahrungen mit einem ähnlichen System unter dem Kyoto-Protokoll, dem Vorläufer des Pariser Klimaabkommens von 2015. Darin verpflichteten sich die meisten Industriestaaten ab 2008 zu Treibhausgas-Einsparungen. Um ihre Ziele zu erreichen, konnten sie dabei auch Einsparungen nutzen, die durch Klimaschutzprojekte in anderen Ländern erzielt wurden, indem sie Klimaschutzzertifikate ankauften. Diese Zertifikate waren damals auch Teil des europäischen Emissionshandels, an dem die EU-Staaten beteiligt waren. 

Hat das funktioniert?

Es war keine Erfolgsgeschichte. «Bei Kyoto hat sich in erster Linie gezeigt, dass keine Reduktion in anderen Ländern gemacht wurden, man hat aber dafür bezahlt», sagt Linda Kalcher von der Brüsseler Denkfabrik Strategic Perspectives. «Das war der erste Skandal. Als das rauskam, sind die ganzen Preise der Zertifikate gefallen, und das war der zweite Skandal.»

Ähnlich beschreibt es der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. «Da wurden klimaschädliche Treibhausgase in China nur zu dem Zweck erzeugt, damit man sie zerstören kann und so diese Zerstörung dann Zertifikate bekommt. So was darf sich natürlich nicht wiederholen.» Erst über Jahre und nach mehreren Reformen kletterte der Preis so weit, dass ein Anreiz zum CO2-Sparen entstand.

Welche Probleme gibt es bei so einem System?

«Der Mechanismus hat das Bewusstsein für Klimaschutz geschärft und Minderungspotentiale in den Ländern des globalen Südens aufgezeigt», erkennt Nicolas Kreibich an, der am Wuppertal Institut zu internationaler Klimapolitik forscht. Doch in der Praxis sei es gar nicht so einfach sicherzustellen, dass Käufer nicht für Projekte bezahlen, die ohnehin umgesetzt worden wären. Günstige Projekte könnten auch arme Länder selbst umsetzen – bei teuren stelle sich die Frage, ob Käufer dann nicht zu ähnlichen Kosten in CO2-Einsparungen daheim investieren könnten. Und wären Vorhaben, von denen die lokale Bevölkerung merklich profitiere, nicht ohnehin gekommen?

Kalcher ist nicht grundsätzlich gegen die Nutzung außereuropäischer Zertifikate. So sei es «natürlich auch hilfreich, dass man mehr in internationale Kooperation investiert, gerade in Zeiten, wenn (US-Präsident Donald) Trump da eine Rückwärtsrolle macht.» Aber: «Man sollte nicht so naiv sein, zu sagen, da bekommt man schnell und günstig Zertifikate von anderen Ländern, die auch noch verlässlich sind.»

Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Bloss warnt vor ungewollten Folgen. «Zum Beispiel, wenn Staaten im globalen Süden ihre nationalen Klimaziele bewusst niedriger ansetzen, um sich Aufstockungen von den Europäern bezahlen zu lassen.» Das treibt auch den Europaabgeordneten Liese um, der diese Möglichkeit als «meine größte Sorge an diesem Konstrukt» bezeichnet. Und es sei keine Dauerlösung. Denn am Ende müssten alle Staaten weltweit klimaneutral werden. 

Klimaexpertin Kalcher sagt dagegen, in ihren Klimaplänen hätten die Länder jetzt schon angegeben, was für sie mit eigenen Geldern und Mitteln möglich ist. «Was aber die Sorge ist, ist, dass es doppelt angerechnet wird.» Wenn etwa Deutschland Brasilien bezahle und sich das für das eigene Ziel anrechne – die Brasilianer aber auch für ihr Ziel. Dafür brauche man die Qualitätsgarantien, auf die auch im Koalitionsvertrag hingewiesen werde.

Was heißt das für das europäische Klimaziel? 

«Damit würde das Ziel abgeschichtet, bevor es beschlossen wird», unkt der Abgeordnete Bloss. «Wir als Grüne haben Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin gewählt mit der Zusage, dass wir ein Ziel von 90 Prozent für 2040 bekommen.»

Sein CDU-Kollege Liese setzt einen anderen Akzent. «Die Anerkennung von hochwertigen Zertifikaten aus Drittstaaten ist ein Ausweg aus der schwierigen Situation, dass die Kommission sich auf 90 Prozent festgelegt hat, aber in Parlament und Rat viele das zu ambitioniert finden», sagt er. «Es ist besser, man macht jetzt schnell ein pragmatisches Ziel, als jetzt noch drei Jahre zu diskutieren. Dann ist der weltweite Klimaschutz irgendwann am Ende, weil Europa natürlich schon eine wichtige Rolle hat.» 

Könnte man die Probleme mit klaren Vorgaben lösen?

«Die EU könnte hier eine Vorbildfunktion einnehmen, indem sie zeigt, wie der Markt auf integre Art und Weise funktionieren kann», meint Wissenschaftler Kreibich. Sie könnte die Verantwortung der Käufer von Zertifikaten in den Mittelpunkt stellen.» Doch unter dem Strich steige das Risiko für den Klimaschutz. 

Kalcher hofft, dass die Europäer im Idealfall einen Goldstandard setzen, an dem sich dann alle orientieren. «Zurzeit hat man nicht genug Qualitätsgarantien, die für die Nutzung von internationalen CO2-Minderungen da sind.» 

CDU-Politiker Liese sagt, man müsse sehr darauf achten, mit welchen Ländern man eine Partnerschaft eingehe und welche Projekte man einbeziehe. 

Ob die Bundesrepublik von dem Systemwechsel etwas hätte, müsse sich erst noch zeigen, meint Kalcher. «De facto müssen die Emissionen in Deutschland so oder so runter, wenn man bis 2045 klimaneutral sein möchte. Und so investiert man große Summen in andere Länder, kauft sich aber nur ein bisschen Zeit.» Quelle: dpa





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